1. Definition, Epidemiologie, Ätiologie und Pathogenese

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1. Definition, Epidemiologie, Ätiologie und Pathogenese

Morbus Behçet (auch als Behçet-Syndrom bezeichnet) wurde 1937 erstmals vom türkischen Arzt Hulusi Behçet beschrieben. Er berichtete von drei Patienten mit oralen und genitalen Ulzera, Uveitis und Erythema nodosum 1. Weitere klinische Charakteristika wurden später dem Symptomspektrum der Erkrankung hinzugefügt 2.
Im Wesentlichen handelt es sich um eine chronisch-entzündliche Erkrankung, die neben den bereits beschriebenen Symptomen auch zu neurologischen, vaskulären, artikulären und gastrointestinalen Störungen führen kann. Die meisten, aber nicht alle dieser Manifestationen können auf Vaskulitiden zurückgeführt werden 3. Bezüglich der durch M. Behçet ausgelösten Vaskulitiden ist bemerkenswert, dass sie große, mittlere und kleine Gefäße, sowohl im arteriellen als auch im venösen Stromgebiet befallen kann 3.

Epidemiologie

M. Behçet tritt am häufigsten in jenen Ländern auf, die an der antiken Seidenstraße liegen. Diese alte Handelsroute erstreckte sich von Ostasien bis ans Mittelmeer und dürfte einiges zur genetischen Verbreitung des M. Behçet beigetragen haben 4.
Am häufigsten kommt M. Behçet in der Türkei vor – hier liegt die Prävalenz bei 80 bis 370 Fällen pro 100.000 Einwohner; in Ländern wie Japan, Korea, China, Iran und Saudi-Arabien liegt sie zwischen 13,5 und 20/100.000. Eine Studie aus Frankreich fand bei Personen europäischer Herkunft eine Prävalenz von 2,4/100.000, bei Personen asiatischer Herkunft waren es 17,5/100.000 und bei Personen mit nordafrikanischen Wurzeln war die Prävalenz mit 34,5/100.000 am höchsten. Das Alter der Patienten zum Zeitpunkt der Immigration nach Europa spielte für die Prävalenz keine Rolle 5.

Ätiologie und Pathogenese

Die eigentliche Ätiologie des M. Behçet ist unbekannt. Man vermutet jedoch, dass – analog zu anderen Autoimmunerkrankungen – pathogenetisch eine fehlgeleitete Immunreaktion, die auf Basis einer genetischen Disposition aufgrund eines Triggers, vielleicht eines infektiösen Agens, schlagend wird 3.
Zu den wesentlichen Pathomechanismen bei M. Behçet gehören:
  1. Genetische Einflüsse, sowohl Assoziationen mit bestimmten HLA- als auch mit Nicht-HLA-Genen
  2. Veränderte Zusammensetzung des bakteriellen Patienten-Mikrobioms oder veränderte Reaktionen desselben
  3. Veränderte Populationen hämatopoetischer Zellen und assoziierter Zytokine
  4. Vorhandensein von Immunkomplexen und Autoantikörpern
  5. Aktivierung des Gefäßendothels und Hyperkoagulabilität 6

Genetische Einflüsse

Eine Studie stellte die Hypothese auf, dass die systemische Entzündung bei M. Behçet aufgrund einer Wechselwirkung zwischen bestimmten genetischen Veränderungen (HLA-B*51, FUT2), Veränderungen des Darm-Mikrobioms und Auswirkungen bestimmter Ernährungsformen und Medikamente zustande kommt 7. Hier sind jedoch noch viele Fragen offen.

Veränderte bakterielle Reaktionen

Bestimmte bakterielle Antigene, die mit menschlichen Peptiden kreuzreagieren, könnten eine Rolle spielen. Dazu gehören die sogenannten Hitzeschockproteine, die von vielen Zellen im Zuge von Stressreaktionen gebildet werden. Wenn T-Zellen und/oder Antikörper Epitope solcher bakteriellen Proteine erkennen, könnte dies ein Trigger zur Auslösung oder Verstärkung eines M. Behçet sein. Bakterienspezies, die hier eine Rolle spielen, könnten Streptokokken, Mykobakterien oder Helicobacter pylori sein 3.
Auch Viren wie HSV oder Parvovirus B19 könnten als
Trigger fungieren 3.

Angeborenes Immunsystem

Veränderungen des Immunsystems, die bei M. Behçet beobachtet werden, sind u.a. niedrige Serumspiegel von Mannose-bindendem Lektin (MBL), das ein Teil des angeborenen Immunsystems ist, und veränderte Muster der Expression von Toll-Like-Rezeptoren (TLR) 3.
Sehr niedrige MBL-Spiegel sind mit schwereren Krankheitsverläufen assoziiert 8. Eine verstärkte Expression der TLR 2 und 4 scheint mit intestinalen Läsionen bei M. Behçet verbunden zu sein 9.

Zelluläre Immunität und Zytokine

Aber auch die zelluläre Immunität und die Zytokinexpressionsmuster sind verändert. So gibt es Veränderungen in den Subpopulationen der T-Lymphozyte und Hinweise auf zelluläre Aktivierung 6. Autoreaktive T-Zellen scheinen in der Pathogenese der Erkrankung von zentraler Bedeutung zu sein. Darauf deuten die Ergebnisse einer Studie hin, in der mittels des monoklonalen Anti-CD52-Antikörpers Alemtuzumab eine Lymphozytendepletion vorgenommen wurde, was – bei allerdings nur 18 Patienten – die Aktivität des M. Behçet reduzierte (72% erreichten nach sechs Monaten eine Remission) 10.
Ob die zelluläre Reaktion einem Th1- oder einem Th2-Muster folgt, ist nicht geklärt – wahrscheinlich handelt es sich um eine Kombination aus beiden 3. Es gibt auch die Hypothese, dass die Th1- und Th17-Reaktionen vor allem in den aktiven Krankheitsphasen von Bedeutung sind, während die Th2-Reaktion eher den Verlauf und den Schweregrad beeinflusst 11.
Viele Studien zeigen, dass die von Th1-Zellen sezernierten Zytokine IL-2, IL-6, IL-8, IL-12, IL-18, TNF-α und IFN-γ bei M. Behçet erhöht sind. Einige andere Arbeiten deuten darauf hin, dass die Serumspiegel von IL-12, löslichen TNF-α-Rezeptoren und IL-8 mit der Krankheitsaktivität korrelieren 3. Bei Behçet-Patienten mit neurologischer Aktivität wurden erhöhte IL-6-Spiegel im Liquor gefunden 12.

Autoantikörper

Bei M. Behçet wurde eine erhöhte Zahl zirkulierender B-Zellen gefunden, was offensichtlich keiner polyklonalen Vermehrung entspricht, sondern Antigen-getrieben ist 3. Bei Behçet-Uveitis scheinen Antikörper gegen retinale Autoantigene eine Rolle zu spielen 13. Insgesamt wurden bei M. Behçet Autoantikörper gegen verschiedene Antigene gefunden, etwa gegen Antigene in der oralen Mukosa, den Endothelzellen, gegen CTLA-4, oxidiertes Low-Density-Lipoprotein und andere 3.

Endothelaktivierung und veränderte Gerinnung

Die endotheliale Dysfunktion ist ein Charakteristikum des M. Behçet 14. Sie mediiert sowohl die Inflammation betroffener Gefäße als auch die Entstehung von Thrombosen 3. Moleküle, die an diesen Prozessen beteiligt sind, umfassen u.a. NO und Homozystein 3. Bei M. Behçet existiert eine Erhöhung der Koagulabilität. Die Thrombinbildung ist vermehrt, die Fibrinolyse reduziert. Die gerinnungshemmenden Moleküle Protein C und Thrombomodulin sind reduziert 3.
Allerdings deutet die Datenlage eher darauf hin, dass die meisten Thrombosen, die im Rahmen von M. Behçet auftreten, nicht durch Hyperkoagulabilität des Blutes, sondern durch die Gefäßschäden im Rahmen der Vaskulitis bedingt sind 3.

Neutrophilenaktivierung

Polymorphkernige Leukozyten (PMN) sind bei M. Behçet vermehrt aktiviert, ihre Motilität ist erhöht 3. Dies zeigen Marker der Zelloberfläche wie CD64, die bei Behçet-Patienten ähnliche Werte erreichen wie bei Sepsis 15. Auch die Bindung von PMN an Endothelzellen findet in erhöhtem Ausmaß statt, was durch die verstärkte Expressen von Oberflächenrezeptoren der PMN wie CD11a, CD18 und ICAM-1 erleichtert wird 16.

Epigenetische Veränderungen

Epigenetische Veränderungen dürfte zur Pathophysiologie des M. Behçet beitragen 17. Veränderungen bei der DNA-Methylierung bei Immunzellen im Rahmen eines M. Behçet wurden beschrieben. Eine solche Methylierung führt zur Unterdrückung der Transkription des entsprechenden Gens 3.
Eine Studie zur DNA-Methylierung von Monozyten und CD4+-Zellen bei 16 Behçet-Patienten zeigte veränderte Methylierungsmuster bei Genen, die mit dem Zytoskelett assoziiert sind; diese Veränderungen wurden durch Behandlung der Erkrankung weitgehend rückgebildet 18.

Dr. med. univ. Norbert Hasenöhrl
Literatur
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  • Smith, EL und Yazici, Y: UpToDate: Pathogenesis of Behcet syndrome, Topic 8233, Version 20.0. Zuletzt aufgerufen: 2021/08/02.
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